Ein Patient bekam unter einer Dauermedikation mit täglich 100 mg ASPIRIN wegen eines Herzinfarktes eine schwere Magenblutung.
Endoskopisch fand man im distalen Corpus ventriculi multiple, fibrinbedeckte kleine Ulzerationen. Im distalen Corpus war ein kleines Ulcus mit einem blutenden
Gefäßstumpf. Nach Umspritzung mit SUPRARENIN stand die Blutung. Da die Dignität der Ulzerationen bioptisch nicht eindeutig geklärt werden
konnte, wurde eine Magen-Op vorgenommen. Histologisch ließ sich nun kein Malignom feststellen. Zwei Tage postoperativ verstarb der 77jährige Patient
nach einem Infarktrezidiv.
Ein weiterer Patient erlitt einen linkshirnigen Schlaganfall. Auch hier wurde ambulant die stationär begonnene ASPIRIN-Medikation mit täglich 100 mg
fortgesetzt. Ein Jahr später erlitt dieser Patient eine akute Kleinhirnblutung mit entsprechender Symptomatik und Bestätigung im CT (circa 3 cm großes
zentrales Hämatom im Kleinhirn).
Diese beiden Befunde machen deutlich, daß die so großzügig propagierte ASPIRIN-Medikation dringend einer sehr kritischen Wertung bedarf. Nicht
umsonst verlangen die Herzchirurgen jetzt 14 Tage vor einem chirurgischen Eingriff die Beendigung der ASPIRIN-Medikation. ASPIRIN verlängert zum einen
die Blutungs- und Gerinnungszeit und ist zum anderen magenschleimhautschädigend.
Für mich ist ASPIRIN eindeutig für den Tod des ersten Patienten verantwortlich. Daher fühle ich mich mitschuldig. Mein Dilemma ist, daß ich
nicht ohne eingehende Diskussion die so massiv durchgeführte ASPIRIN-Therapie absetzen kann. Die Patienten erhalten nämlich von allen Kollegen die
Beruhigung, daß ASPIRIN sehr gut ein Infarktrezidiv verhindere.
Dr. med. F. REISS (Arzt für Innere Medizin)
W-1000 Berlin 45
Auch unter niedrig dosierter Azetylsalizylsäure (ASS) treten neben Blutungen schwere Komplikationen wie z.B. Nierenversagen bei vorgeschädigter Niere
auf, so daß sich immer wieder die Frage nach dem Nutzen/Risiko-Verhältnis für die Dauerprophylaxe thromboembolischer Ereignisse mit niedrig
dosierter ASS stellt. Die zahlreichen Studien zum Nutzen der Behandlung mit niedrig dosierter ASS (30 bis 300 mg/Tag) lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- In der Sekundärprophylaxe nach Erstinfarkt mindert ASS das Risiko tödlicher Reinfarkte von 15 bis 30% auf 5 bis 10% in einem Zeitraum von 5
Wochen bis 5 Jahren. In der gleichen Größenordnung nehmen auch die nicht-tödlichen Infarkte ab.
- Nach Bypass-Operationen verringern täglich 100 mg ASS die Bypass-Verschlußrate. Auch bei Patienten mit Lyse-Therapie nach Herzinfarkt senken
160 mg ASS pro Tag die Letalität in einem Beobachtungszeitraum von 5 Wochen bis 2 Jahren.
- Drei umfangreiche Studien belegen, daß ASS die Frequenz von TIA und Insulten sowie die Häufigkeit von Todesfällen infolge von Insulten
signifikant senken kann.
- Aktuelle Studien belegen die prophylaktische Wirksamkeit auch sehr niedriger ASS-Tagesdosen wie 75 mg (vgl. a-t 8
[1991], 69) und 30 mg (vgl. Seite 104).
- Der Nutzen von ASS zur Primärprävention von Herzinfarkten bleibt umstritten. Die Einnahme von täglich 300 bis 500 mg ASS scheint das Risiko
von Hirnblutungen zu erhöhen.
- Unter der Behandlung mit 325 mg ASS jeden zweiten Tag traten in der Behandlungsgruppe bei 169 Patienten Magenulzera auf, in der Plazebogruppe bei
138.
- Bei der Auswertung von sechs umfangreichen Studien mit 100 bis 1.500 mg ASS ließen sich in allen Studien, die mehr als 900 mg ASS pro Tag anwandten,
eine signifikante Zunahme von Magensymptomen nachweisen.
Somit finden sich keine hinreichenden Belege dafür, daß die breite Anwendung von 100 oder 300 mg ASS das Risiko von Magengeschwüren
und Magenblutungen signifikant erhöht. Das Risiko von Hirnblutungen nimmt durch 300 mg ASS zu, und zwar von 70 Ereignissen in der Plazebogruppe auf 80
Ereignisse in der Behandlungsgruppe bei insgesamt 22.000 Studienteilnehmern.
Diese Daten erlauben nach unserer Einschätzung eine positive Beurteilung des Nutzen/Risiko-Verhältnisses für ASS zur
Sekundärprävention nach Herzinfarkt, zur Verminderung der Verschlußrate nach Bypass-Operationen und zur Verminderung von TIA und Insult bei
manifester Karotisstenose. Diese positive Einschätzung schließt nicht aus, daß ASS auch in niedriger Dosierung selten schwere Störwirkungen
auslösen kann (Red.).
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