Am 1. Juli 1991 tritt die neue Negativliste in Kraft. Eine Reihe von Kombinationsarzneimitteln wird dann nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen
verordnungsfähig sein. Die Therapiefreiheit des Arztes wird hierdurch nicht wesentlich berührt, da es sich zumeist um wenig verordnete Arzneimittel von
zweifelhaftem Wert handelt. Es sind einerseits Mischpräparate mit mehr als drei Bestandteilen, andererseits Kombinationen, bei denen ein Bestandteil keinen Beitrag
zum therapeutischen Nutzen des Arzneimittels liefert bzw. das Therapierisiko erhöht. Dies läßt sich am Beispiel von CORDICHIN darstellen:
CORDICHIN enthält 160 mg Chinidin und 80 mg Verapamil und wird zur Prophylaxe und Therapie von Vorhofflimmern angeboten. Der Zusatz von Verapamil soll
dabei supraventrikuläre Kammertachykardien infolge einer zu schnellen Überleitung verhindern. Im Jahre 1989 wurden 0,42 Millionen Packungen im Werte von 36
Millionen DM verordnet, wobei die Verordnungen um 5% rückläufig sind.1
Das Präparat ist eine typische Altlast, die u.W. ohne Überprüfung der Wirksamkeit registriert wurde und für die keine den heutigen Standards entsprechenden
Studien zum Nachweis der korrekten Dosierung der Kombinationspartner (Dosisfindungsstudien) oder zur Wirksamkeit veröffentlicht sind.
Dem drohenden Ausschluß aus der Erstattungsfähigkeit begegnet der Hersteller mit einer Verängstigungs- und Verunsicherungskampagne. In offenen Briefen an
Ärzte und Politiker und in Zeitschriftenanzeigen (z.B. Ärzte Zeitung vom 24./25. Mai 1991) wird behauptet, die Unterstellung des Präparates unter die Negativliste
löse "erhebliche, u.U. lebensbedrohliche Risiken" für ca. 50.000 Patienten aus. Davon kann keine Rede sein.
Vorhofflimmern ist eine häufige Herzrhythmusstörung, die mit steigendem Lebensalter an Häufigkeit zunimmt. 0,3% der 55- bis 64jährigen, 1% der 65- bis
74jährigen und 3% der über 75jährigen leiden daran. Hämodynamisch besitzt Vorhofflimmern in der Regel klinisch keine Bedeutung. Es kann jedoch infolge
beschleunigter Überleitung zu tachykarden Rhythmusstörungen der Kammer Anlaß geben. Antiarrhythmika vom Typ des Chinidins fördern solche supraventrikulären
Kammertachykardien. Deshalb müssen die meist älteren Patienten in der Regel zur Senkung der Kammerfrequenz digitalisiert werden. Im Einzelfall kann auch
Verapamil (ISOPTIN u.a.) erforderlich sein.
Beim erstmalig auftretenden akuten Vorhofflimmern ist das Therapieziel die Wiederherstellung des Sinusrhythmus. Dies gelingt entweder mittels Kardioversion
oder medikamentös durch intravenöse Gabe von Propafenon (RYTMONORM), Flecainid (TAMBOCOR), Chinidin (CHINIDIN DURILES u.a.), Disopyramid
(NORPACE) oder Amiodaron (CORDAREX) bei frühzeitigem Behandlungsbeginn in 55% bis 90% der Ereignisse. Wegen der Gleichheit der Erfolgsraten erscheint es
prinzipiell unerheblich, mit welcher Substanz der Rhythmisierungsversuch gemacht wird.2 Propafenon und Flecainid besitzen den (theoretischen?) Vorteil,
die Überleitung zu hemmen und damit Kammertachykardien entgegenzuwirken. Amiodaron sollte wegen seiner häufigen Störwirkungen nur als
Reservetherapeutikum gelten (vgl. a-t 5 [1986], 39). Digitalisglykoside oder Verapamil sind ohne Effekt auf das Vorhofflimmern.
Nach erfolgreicher Behandlung kommt es häufig zu Rezidiven. Nach einem Jahr befinden sich nur noch 15% bis 50% der Patienten im Sinusrhythmus. Die Frage, ob
sich eine antiarrhythmische Dauerbehandlung zur Aufrechterhaltung des Sinusrhythmus vertreten läßt, wird heute skeptisch beurteilt,2 auch wenn
dies durch die genannten Substanzen begrenzt möglich zu sein scheint. Die CAST-Studie (Cardiac Arrhythmia Suppression Trial) hat unerwartet und mit
überraschender Klarheit belegt, daß auch bei richtiger Indikationsstellung unter antiarrhythmischer Dauerbehandlung mehr Todesfälle auftraten als bei unbehandelten
Patienten. Dies wird mit pro-arrhythmogenen Wirkungen der Antiarrhythmika in Verbindung gebracht.3 Zu berücksichtigen ist, daß ein stabiles,
chronisches Vorhofflimmern allein wegen fehlender hämodynamischer Konsequenzen keiner Behandlung bedarf,2 insbesondere wenn eine
Kammertachykardie durch Digitalisierung verhindert werden kann. Kalziumantagonisten wie Verapamil mögen hierzu ebenfalls geeignet sein. Sie können eventuell
jedoch die Persistenz eines Vorhofflimmerns begünstigen.4
Abgesehen von komplexen Formen des Vorhofflimmerns, die einer gezielten kardiologischen Diagnostik und Therapie bedürfen und keine Indikation für CORDICHIN
sind, kann in Anbetracht der skizzierten Therapierichtlinien die vom Hersteller erwähnte Zahl von ca. 50.000 Patienten, die unter langfristiger Behandlung mit
CORDICHIN stehen sollen, nur als Ausdruck einer rational nicht begründbaren Indikationsausweitung verstanden werden. Die überwiegende Zahl der unter
CORDICHIN-Dauermedikation stehenden Patienten bedarf vermutlich keiner antiarrhythmischen Behandlung. Diese Patienten sind eher durch die pro-
arrhythmogenen Wirkungen der Kombination gefährdet, die bei Chinidin mit 15% der Patienten angegeben werden.5 Hier stellt die Überprüfung der
Indikationsstellung mit einem vorsichtigen Auslaßversuch eine risikomindernde Maßnahme dar und kein "lebensbedrohliches Risiko". Im Zweifel wird der
Allgemeinarzt gut beraten sein, einen niedergelassenen Kardiologen mitentscheiden zu lassen.
FAZIT: Chinidin wird wegen seiner ausgeprägten arrhythmogenen Wirkungen und darauf beruhender Todesfälle bei Vorhofflimmern nicht mehr als Mittel der Wahl
zur Dauermedikation empfohlen.1 Es liegen für die Chinidin-Verapamil-Kombination CORDICHIN keine Langzeitstudien vor, die eine günstigere Beurteilung
rechtfertigen.
Im Einzelfall kann die Behandlung zweckmäßiger durch freie, nach Effekt ausgerichtete Dosiswahl mit Monopräparaten wie CHINIDINUM SULFURICUM
"BUCHLER" und Verapamil (ISOPTIN u.a.) vorgenommen werden. Beim akuten Vorhofflimmern sind intravenöse Gaben von Propafenon
(RYTMONORM), Flecainid (TAMBOCOR) oder als Reservetherapeutikum Amiodaron (CORDAREX) zweckmäßiger. Ein stabiles chronisches
Vorhofflimmern bedarf bei fehlender hämodynamischer Auswirkung keiner Therapie mit Antiarrhythmika. Der Nutzen einer langzeitigen Medikation zur Prophylaxe von
Vorhofflimmern und zur Aufrechterhaltung des Sinusrhythmus muß in Anbetracht der Ergebnisse der CAST-Studie bezweifelt werden.
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