Am 13. April 1990 schrieb das National Institute of Neurological Disorders and Stroke (USA) alle Ärzte in Unfallstationen amerikanischer
Krankenhäuser an, um sie auf die Ergebnisse einer Studie aufmerksam zu machen, die in Kürze im "New England Journal of Medicine"
erscheinen wird.1 Die Ergebnisse einer Studie an 10 unfallmedizinischen Zentren werden für so wichtig gehalten, daß wegen des möglichen
Nutzens für Unfallpatienten mit Rückenmarksläsionen eine Vorab-Information der Ärzte vor Erscheinen der Arbeit geboten
erschien.2
Patienten mit nachgewiesenem Rückenmarkstrauma außer Caudaläsionen erhielten randomisiert Methylprednisolon (MEDRATE,
URBASON u.a.; n=162), Plazebo (n=171) oder Naloxon (NARCANTI; n=154). Nachuntersuchungen folgten sechs Wochen und ein halbes Jahr
später.
Methylprednisolon wurde in einer Dosis von 30 mg/kg Körpergewicht (KG) als Bolus innerhalb von 15 Minuten injiziert. Nach einer Pause von 45 Minuten folgte
eine i.v.-Infusion von 5,4 mg/kg KG und Stunde für 23 Stunden. Die Infusion wurde auch fortgesetzt, wenn der Patient operiert werden mußte.
Im Vergleich zu Plazebo profitieren die Patienten von Methylprednisolon jedoch nur, wenn die Behandlung innerhalb von acht Stunden nach dem Trauma
begonnen wird. Die Besserungen betreffen sowohl Patienten mit kompletten wie mit inkompletten motorischen und sensiblen Ausfällen. Unter Methylprednisolon
ist die Besserungschance doppelt so hoch wie unter Plazebo. Der Effekt war nach sechs Wochen ausgeprägter als nach sechs Monaten. Naloxon erwies sich
als wirkungslos.
Einer Mortalität nach sechs Monaten von 4,3% in der Methylprednisolon-Gruppe stehen 7% in der Plazebo-Gruppe gegenüber. Wundinfektionen traten bei
7,1% der mit Methylprednisolon Behandelten auf, in der Plazebo-Gruppe bei 3,6%. Mit 4,5% hatte die Behandlungsgruppe mehr gastrointestinale Blutungen als die
Plazebogruppe (3%).
Die Autoren sind der Meinung, daß die hochdosierte Gabe von Methylprednisolon innerhalb von acht Stunden nach dem Trauma bei Patienten mit
Rückenmarksverletzungen Folgeschäden vermindert.3 Sie werden dabei durch tierexperimentelle Befunde bei traumatischen Hirnschäden
unterstützt: Im Gegensatz zu den mit niedrigeren Dosen durchgeführten klinischen Studien am Menschen sind im Tierversuch mit hohen
Methylprednisolon-Dosen von 30 mg/kg KG oder 6-15 mg/kg KG Dexamethason Effekte auf das Hirnödem nachweisbar.4
FAZIT: Obwohl die vollständigen Daten noch nicht publiziert sind, erscheint bei Traumapatienten mit Rückenmarksläsionen und
nachgewiesenen motorischen oder sensiblen Ausfällen die hochdosierte Gabe von Methylprednisolon (MEDRATE, URBASON u.a.) innerhalb von acht
Stunden nach dem Trauma sinnvoll zu sein.
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