Zur Anregung der Motilität im Magen-Darm-Trakt finden häufig Dopaminantagonisten (Metoclopramid [PASPERTIN u.a.], Bromoprid
[CASCAPRIDE, VIABEN] und Domperidon [MOTILIUM]) Verwendung. Aufgrund ihrer neuroleptischen Wirkkomponente ist jedoch mit extrapyramidalmotorischen
Störungen zu rechnen. Parasympathomimetika und Cholinesterase-Hemmstoffen kommt wegen nicht seltener unerwünschter Begleitwirkungen und einer
Reihe von Kontraindikationen eine begrenzte Bedeutung zu. Seit Februar 1990 bieten nun Cilag und Janssen das Prokinetikum Cisaprid als "neuartiges
Wirkprinzip" für "mehr Bewegung statt weniger Säure" (ALIMIX) und als "Verdauungsschrittmacher" (PROPULSIN)
an.
WIRKUNG: Cisaprid ist ein substituiertes Benzamid mit Strukturverwandtschaft zu Metoclopramid, jedoch ohne dessen zentrale antiemetische Wirkung.
Wahrscheinlich steigert Cisaprid die Freisetzung von Azetylcholin an den postganglionären Nervenendigungen im Plexus myentericus über einen
indirekten, auf molekularer Ebene noch unklaren Mechanismus. Direkte oder extraintestinale cholinerge Effekte werden nicht beschrieben. Die Prolaktinsekretion soll
unbeeinflußt bleiben, woraus ein fehlender zentraler Dopaminantagonismus abgeleitet wird. Dagegen bestehen Hinweise auf einen partiellen
Serotoninantagonismus. Insulin- und Gastrinspiegel sowie Magensäuresekretion bleiben unverändert.
Am Ösophagus steigern Einzeldosen von 5-10 mg Cisaprid den Tonus im unteren Sphinkter um 60-90%, bei niedrigem Grundtonus um 80-
145%. Ohne Beschleunigung der Ösophagusperistaltik nimmt die Druckamplitude der Kontraktionen um 20-50% zu. Durch die verbesserte ösophageale
Clearance liegt der pH-Wert im Ösophagus selten unter 4. Flüssige und feste Nahrung passieren den Magen unter Cisaprid schneller. Eine durch
Dopamin oder Morphin verzögerte Magenentleerung kann normalisiert werden. Sowohl am Dünndarm als auch am Dickdarm verkürzt Cisaprid die
Transitzeit des Darminhalts. Dabei nehmen Zahl der Kontraktionen und deren propulsiver Charakter zu.1
KENNDATEN: Cisaprid wird nahezu vollständig absorbiert mit maximalen Serumkonzentrationen nach ein bis zwei Stunden. Der first-pass-Effekt in
der Leber reduziert die Bioverfügbarkeit auf 40-50% der oralen Dosis.
Im Plasma ist Cisaprid zu 97,5% an Eiweiß gebunden. Höchste Gewebskonzentrationen finden sich in der Leber (35fache
Plasmakonzentration), im Hirngewebe immerhin 30-50% der Plasmakonzentration. Im fetalen Blut liegen die Konzentrationen im Bereich der mütterlichen Werte,
in der Muttermilch betragen sie weniger als 0,1% der Plasmakonzentration.
Cisaprid wird in der Leber ausgiebig verstoffwechselt, wobei die inaktiven Hauptmetaboliten zu gleichen Teilen über Urin und Stuhl ausgeschieden werden.
Die globale Eliminationshalbwertszeit von Cisaprid (etwa 10 Stunden) kann bei älteren Patienten sowie bei Leberfunktionsstörungen verlängert sein
und eine Dosisanpassung erforderlich machen. Auch bei schwerer Niereninsuffizienz scheint eine Dosisreduktion empfehlenswert. Die Dialysierbarkeit ist nicht
untersucht.1
WIRKSAMKEIT: Bei endoskopisch nachgewiesener Refluxösophagitis (Grad I-III) scheint die Wirksamkeit von Cisaprid gesichert. Nach 6-12
Wochen betragen die Abheilungsraten unter täglich 4 mal 10 mg Cisaprid 63-73% gegenüber 12-13% unter Plazebo. Die Symptomatik ist in 67-84%
gegenüber 13-50% gebessert.2,3 Die Heilungsraten von 4 mal täglich 10 mg Cisaprid entsprechen nach 12 Wochen denen von 4 mal 400 mg
Cimetidin (56% vs. 57%) oder von 2 mal 150 mg Ranitidin (89% vs. 79%).4,5 Unter der Kombination von täglich 1000 mg Cimetidin und 40 mg Cisaprid
heilt die Refluxösophagitis besser aus. Die Symptome klingen häufiger ab als unter Cimetidin und Plazebo (70% vs. 46% bzw. 87% vs. 64% nach 12
Wochen).6 Bei Kindern mit chronischer postprandialer Regurgitation und Erbrechen beeinflußt Cisaprid (3 mal täglich 0,1-0,2 mg/kg
Körpergewicht) die Symptomatik besser als Plazebo.7 Die zitierten Studien beruhen durchweg auf kleinen Patientenzahlen. Vergleichsstudien mit
anderen Prokinetika wie Metoclopramid oder Domperidon liegen nicht vor.
Zur Behandlung nachgewiesener Magenentleerungsstörungen sind die Daten widersprüchlich. Bei diabetischer Gastroparese verbessert Cisaprid
in zwei Studien Magenentleerung und klinische Symptomatik,8,9 in einer weiteren nicht.10 In der einzigen direkten Vergleichsstudie mit einem
anderen Prokinetikum beeinflussen weder Cisaprid noch Metoclopramid Magentransitzeit oder klinische Symptomatik.11 Bei idiopathischer Gastroparese
beschleunigt auch Plazebo die Magenentleerung (- 90 min). 3 mal 10 mg Cisaprid sind jedoch wirksamer (- 140 min). Dennoch bleibt eine signifikante Linderung der
Oberbauchsymptomatik aus.12 Hinweise auf positive Effekte bei Sklerodermie und dystropher Myotonie stammen lediglich aus unkontrollierten Studien. Zur
Langzeitwirkung von Cisaprid bei Magenentleerungsstörungen fehlen kontrollierte Studien.
Bei der postoperativen Magen-Darm-Atonie deuten plazebokontrollierte Untersuchungen an kleinen Patientenzahlen auf positive Effekte von 3 mal 10 mg
Cisaprid i.m. über 3 Tage.13 Vergleiche mit anderen Substanzen liegen nicht vor.
Patienten mit chronischer Obstipation zeigen gegenüber Plazebo unter achtwöchiger Einnahme von 2 mal 20 mg Cisaprid eine geringe, aber
signifikante Zunahme der Stuhlfrequenz (+ 0,3 vs. + 1,1 pro Woche).14 Auch für diese Indikation fehlen Vergleiche mit anderen Therapieformen und
insbesondere Langzeitstudien.
Funktionelle Oberbauchbeschwerden (funktionelle Dyspepsie, "Nonulcer-Dyspepsie") sind gekennzeichnet durch einen umschriebenen
Symptomenkomplex mit Erbrechen, Sodbrennen, postprandialem Völlegefühl, Übelkeit, Aufstoßen und Blähgefühl bei Fehlen
organischer Veränderungen. Bereits Plazebo bessert nach drei bis vier Wochen die Beschwerden bei 30% der Behandelten, Cisaprid gut doppelt so
häufig.15,16 Im direkten Vergleich bestehen jedoch keine Unterschiede zwischen jeweils 3 mal 10 mg Cisaprid, Metoclopramid oder
Domperidon.17,18 Nach einer umfassenden Metaanalyse von 23 Studien sind die Erfolgschancen von Säurehemmern (Pirenzepin, H2-Blocker) und
Prokinetika (Metoclopramid, Domperidon, Cisaprid) bei funktioneller Dyspepsie gleich. Der Plazeboeffekt ist beachtlich. Vorteile für eine Einzelsubstanz finden
sich nicht.19
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Nach den bisher begrenzten Erfahrungen dominieren Bauchkrämpfe, Diarrhoen und Darmgeräusche.
Kopfschmerzen, Benommenheit, Schwächegefühl und Müdigkeit sowie auch Schlaflosigkeit sollen zwar seltener als unter Metoclopramid auftreten,
weisen jedoch auf unerwünschte zentralnervöse Effekte am ZNS. Bemerkenswert sind Einzelbeobachtungen von "Krampfanfällen" und
"abnormen Bewegungen", die die Möglichkeit extrapyramidal-motorischer Störwirkungen andeuten. Für Patienten mit Epilepsie ist Vorsicht
ratsam. Im NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATION erreichte uns eine Meldung über erhöhte Leberfunktionswerte in Verbindung mit
zweiwöchiger Einnahme von Cisaprid (NETZWERK-Fall Nr. 3788). Unerwünschte Wirkungen auf Blutbildung, Herz-Kreislauf-System, Atmung und
Blutdruck sind bisher nicht beschrieben. Bei Verwendung der Suspension besteht die Gefahr von Allergien auf Konservierungsmittel der Parabene-Reihe.
Wegen mangelnder Erfahrungen ist Cisaprid in Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Säuglingen unter vier Wochen kontraindiziert.
INTERAKTIONEN: H2-Blocker und Alkohol erhöhen die Bioverfügbarkeit von Cisaprid, möglicherweise durch Hemmung der
Metabolisierung. Wahrscheinlich bedingt durch die prokinetische Wirkung kann Cisaprid die Absorption von Diazepam, Cimetidin, Ranitidin und Alkohol
beschleunigen. Vorsicht ist besonders bei gleichzeitiger Einnahme von Mitteln mit schmaler therapeutischer Breite (Herzglykoside u.a.) ratsam. Antazida behindern
nicht die Absorption von Cisaprid. Bei gleichzeitiger Cumarin-Therapie wurde eine Verlängerung der Gerinnungszeit beobachtet. Eine Woche nach
Therapiebeginn und -abbruch sind daher die Gerinnungswerte zu prüfen. Auch bei gleichzeitiger Therapie mit Antidiabetika und Antiepileptika sind
Laborkontrollen zu empfehlen.1
KOSTEN: Die empfohlenen Tagesdosen von 3-4x 5-10 mg kosten zwischen 1,90 DM und 5,70 DM. Im Vergleich zu Domperidon und Metoclopramid
verteuert Cisaprid die Therapie bis zum Vierfachen (s. Kasten).
FAZIT: Cisaprid (ALIMIX, PROPULSIN) ist keine therapeutische Innovation, sondern ein dem Metoclopramid (PASPERTIN u.a.) verwandtes Prokinetikum ohne
zentrale antiemetische Wirkung, das für unspezifische Magen-Darm-Beschwerden ("Reizmagen") wie "Magenschmerzen,
Völlegefühl, Appetitlosigkeit, Sodbrennen und andere Verdauungsbeschwerden" propagiert wird. Gegen Refluxösophagitis scheint es gleich
wirksam wie H2-Blocker zu sein. Ob eine Kombination die Abheilungsrate weiter verbessert, bleibt zu bestätigen.
Bei Magenentleerungsstörungen (diabetischer, idiopathischer u.a. Genese) wird Cisaprid zwar eine Wirksamkeit zugesprochen, doch sind die Ergebnisse
widersprüchlich. Es fehlen kontrollierte Studien, die eine Langzeitwirkung oder einen Vorteil gegenüber anderen Prokinetika belegen. Der Stellenwert der
Neuerung gegen chronische Obstipation und postoperative Magen-Darm-Atonie bedarf weiterer Überprüfung. Für die zahlreichen Patienten mit
funktioneller Dyspepsie bietet Cisaprid keine Wirkvorteile gegenüber Metoclopramid (PASPERTIN u.a.), anderen Prokinetika oder Säureblockern.
Cisaprid wird als gut verträglich vertrieben. Eine verläßliche Beurteilung des Profils unerwünschter Wirkungen ist wegen der begrenzten
Erfahrungen (ca. 4000 Patienten) derzeit nicht möglich. Zumindest ist auch dieses Prokinetikum nicht frei von zentralnervösen
Störwirkungen.
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