Die röntgenologische Darstellung der Nierenkelche, des Nierenbeckens, der Harnleiter und der Blase mittels intravenös verabreichter
Röntgenkontrastmittel wird zur Beurteilung der Organstruktur der intra- und extrarenalen Harnwege verwendet.1
In einer Standortbestimmung2 für das amerikanische Komitee für öffentliche Gesundheitspolitik beurteilen Experten das i.v.-
Ausscheidungsurogramm (Ausscheidungsurographie, i.v.-Urographie) an vier ausgewählten Beispielen:
1. benigne Prostatahypertrophie vor Prostatektomie,
2. vor Hysterektomie,
3. symptomatischer Harnwegsinfekt bei Frauen,
4. Hypertonie.
Die Bewertungen beruhen auf einer Übersichtsarbeit3 dieser Experten.
Die Ausscheidungsurographie gilt als die beste Untersuchungsmethode für die Diagnose und Verlaufsbeobachtung von Urolithiasis, Harnwegsobstruktionen bei
normaler Nierenfunktion, oberen Harnwegsinfektionen bei Männern, chronischen Nierenparenchymkrankeiten und oberen Harnwegstumoren.
Nachteile dieses diagnostischen Verfahrens sind, daß anatomische Details bei chronischen Parenchymerkrankungen und kleine Nierentumoren übersehen
werden können, vor allem bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. Gehäuft treten schwere Kontrastmittelreaktionen bei Niereninsuffizienz
mit Serumkreatininwerten über 2-3 mg/dl (175-265 µmol/l) auf. Kreatininwerte über 4,5 mg/dl (über 400 µmol/l) müssen als
Kontraindikation der i.v.-Kontrastmittel-Anwendung angesehen werden.4 Veränderungen, z.B. Tumoren im Retroperitoneum, sind nur indirekt sichtbar
durch eine beeinträchtigte Darstellung der normalen Harnwegsstrukturen. Für Patienten mit Niereninsuffizienz eignet sich daher eine
Ultraschalluntersuchung besser als das i.v.-Ausscheidungsurogramm für die Diagnostik von Nierentumoren ist die Sonographie bzw. die Computertomographie
vorzuziehen, für Tumoren des Nierenbecken-Kelchsystems und der Harnleiter die retrograde Pyelographie.
Die Verträglichkeit der i.v.-Urographie wird von der Toxizität des verwendeten Kontrastmittels und vom Ausmaß der Strahlenexposition bestimmt. Das
Risiko einer Kontrastmittelreaktion verdoppelt sich bei Patienten mit Allergieanamnese; es beträgt das 3- bis 4fache (15%-20%) bei Patienten mit einer vorherigen
Kontrastmittelreaktion.5 Bei Verwendung herkömmlicher ionischer Kontrastmittel werden allgemeine Reaktionen und eine spezifische Nierenschädigung
beobachtet (vgl. auch a-t 7 [1975], 50). Zu den allgemeinen Reaktionen gehört einerseits eine seltene (1:40.000) lebensbedrohliche Reaktion, die bis zum
Herzstillstand führen kann. Schwere Reaktionen der Atemwege (akutes Larynxödem bis zum akuten Lungenödem) sind noch seltener. Hinsichtlich
der schweren Reaktionen ist ein Vorteil der neueren nicht-ionischen Kontrastmittel nicht erkennbar. Andererseits werden häufige, milde generalisierte
Reaktionen wie Hautausschläge, Quaddeln, periorbitales oder periorales Ödem, zeitweilige Übelkeit und Erbrechen, generalisiertes Jucken und
Synkopen bei 5% bis 10% der i.v.-Ausscheidungsurogramme beobachtet, Symptome, die gewöhnlich nur kurz andauern und spontan verschwinden.
Über die Indikationen zur Verwendung nicht-ionischer Kontrastmittel berichteten wir in einer früheren Ausgabe (vgl. a-t 1 [1988], 4).
1. i.v.-Ausscheidungsurogramm vor Prostatektomie
Die i.v.-Ausscheidungsurographie vor Prostatektomie dient dazu, bisher unbekannte obere Harnwegsobstruktionen zu erkennen und asymptomatische renale oder
ureterale Veränderungen auszuschließen. Das Ausscheidungsurogramm zeigt bei 80% der untersuchten Patienten mit Prostatahypertrophie (n = 2640)
normale Harnwegsstrukturen. Als häufigste Anomalie bei Patienten mit Prostatahypertrophie kam eine Harnwegsobstruktion vor, die jedoch auch sonographisch
nachweisbar ist.
Ein i.v.-Ausscheidungsurogramm vor Prostatektomie kann bei unklarer Ausdehnung und Ätiologie einer Ureterob-
struktion durch die Prostatahypertrophie erwogen werden, sofern die Obstruktion nicht sonographisch ausreichend beurteilt werden kann.
2. i.v.-Ausscheidungsurogramm vor Hysterektomie
Bei Patientinnen vor Hysterektomie sollen durch i.v.-Urographie verborgene Harnwegserkrankungen (z.B. Urolithiasis, Harnabflußstörungen) und -
fehlbildungen erkannt und die distalen Ureteren lokalisiert werden, um eine Verletzung während der Operation zu vermeiden. Von 3220 untersuchten Frauen
vor Hysterektomie hatten 81% normale Harnwegsstrukturen. Unerwartete Tumoren wurden bei 0,06% entdeckt, etwa entsprechend dem Auftreten in der allgemeinen
Bevölkerung. Ein äußerer Druck auf die Blase durch einen Beckentumor stellte den häufigsten pathologischen Befund dar. Die Rate an
Ureterverletzungen bei Hysterektomie schwankt zwischen 0,6% und 2,5%. Sie nahm durch ein vorheriges i.v.-Ausscheidungsurogramm nicht ab.
Eine Kosten-Nutzen-Analyse für Frauen mit gutartigen Veränderungen ergab, daß Frauen mit vergrößertem Uterus (Uterusgröße
entsprechend der 12. Schwangerschaftswoche oder größer) oder mit einem Adnextumor von 4 cm Durchmesser oder größer eine hohe
Wahrscheinlichkeit pathologischer Befunde an den ableitenden Harnwegen haben. Bei diesen Frauen läßt sich mittels der
Röntgenkontrastdarstellung der Nieren und der ableitenden Harnwege durch 159 vorgenommene i.v.-Ausscheidungsurogramme eine Ureterverletzung
vermeiden, so daß hier das Ausscheidungsurogramm einen deutlichen diagnostischen Nutzen erbringt.6
Ein i.v.-Ausscheidungsurogramm vor Hysterektomie empfiehlt sich, wenn ein vergrößerter Uterus, ein Adnextumor, ein großer Beckentumor oder ein
Karzinom im kleinen Becken vorliegt, soweit eine Abklärung durch Sonographie nicht ausreichend ist. Bei malignen Veränderungen ist eine
Computertomographie angezeigt, selten retrograde Pyeolographien.
3. i.v.-Ausscheidungsurogramm bei Patientinnen mit symptomatischen Harnwegsinfekten
Mit der Ausscheidungsurographie bei Patientinnen mit symptomatischen Harnwegsinfekten wird nach oberen Harnwegsveränderungen gesucht, die zu
rezidivierenden Infektionen oder chronischer Pyelonephritis prädisponieren. Ein vesiko-ureteraler Reflux wird mittels Miktionsgastrourethrographie
nachgewiesen. Die angenommene Bedeutung oberer Harnwegsfehlbildungen für symptomatische Harnwegsinfektionen bestätigte sich nicht. Milder
vesiko-ureteraler Reflux bei rezidivierenden Infekten verliert sich meistens im Kindesalter. Starker vesiko-ureteraler Reflux kann bei rezidivierenden Infekten zu
chronischer Pyelonephritis führen. Der chronische Nierenschaden beginnt meistens in der Kindheit, und der Nutzen einer chirurgischen Korrektur bei
Erwachsenen ist unklar. Bei chronischer Pyelonephritis im Erwachsenenalter schreitet die Krankheit mit beidseitiger Nierenbeteiligung, Hochdruck und Proteinurie
fort. Eine i.v.-Urographie an 107 Patientinnen mit Bakteriurie zum Zeitpunkt der Infektion und 3 bis 5 Jahre später zeigte, daß "unkomplizierte"
Harnwegsinfekte nicht die Nierenfunktion schädigen. Die einzigen korrekturbedürftigen Anomalien wurden bei Frauen mit einer Anamnese von
Harnwegsinfektionen in der Kindheit gefunden.
Eine röntgenologische Darstellung der Nieren und ableitenden Harnwege bei symptomatischen Harnwegsinfektionen empfiehlt sich daher nur bei Frauen, die in
der Kindheit bereits Harnwegsinfekte hatten.
4. i.v.-Ausscheidungsurogramm bei Hypertonie
Das i.v-Ausscheidungsurogramm kann als "Frühurogramm" bei Verdacht auf renovaskuläre Hypertonie eingesetzt werden. In der
Allgemeinbevölkerung mit Hypertonie haben nur etwa 1% der Betroffenen eine Nierenarterienstenose. Bei renovaskulärem Hochdruck lag eine sehr
eingeschränkte Spezifität für die Auswahl von Patienten vor, die durch eine chirurgische Korrektur heilbar sind.
Die i.v.-Urographie hat bei der Diagnostik der reno-vaskulären Hypertonie nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Nierengröße kann auch
sonographisch ermittelt werden, zur Funktionsbeurteilung sind nuklearmedizinische Untersuchungen besser geeignet (seitengetrennte Funktion). Das Urogramm
kann bei der Durchführung einer arteriellen Urographie durch "Spätaufnahmen" gewonnen werden.
FAZIT: Das i.v.-Ausscheidungsurogramm hat innerhalb der letzten zehn Jahre gegenüber Ultraschalluntersuchungen und Computertomographie an
Bedeutung verloren. Anerkannte Indikationen für die Ausscheidungsurographie sind: Diagnose und Verlaufsbeobachtung von Nierensteinen,
Harnwegsobstruktionen bei normaler Nierenfunktion, obere Harnwegsinfektionen bei Männern, chronische Nierenparenchymkrankheiten und supravesikale
Harnwegstumoren.
Patienten mit Niereninsuffizienz und mit bekannter Kontrastmittelallergie haben ein erhöhtes Komplikationsrisiko durch das i.v.-
Ausscheidungsurogramm.
Bei Niereninsuffizienz ist die Ultraschalluntersuchung dem i.v.-Ausscheidungsurogramm vorzuziehen; zur Beurteilung von Tumoren der Harnwege und des
Retroperitoneums eignen sich die retrograde Pyelographie und die Computertomographie besser.
Die Röntgen-Darstellung der Nieren und der ableitenden Harnwege ist bei Prostatahypertrophie, vor Hysterektomie, bei symptomatischen Harnwegsinfekten
von Frauen und zur Diagnostik des renovaskulären Hochdrucks nicht als Routineuntersuchung, sondern nur für ausgewählte Fragestellungen
angezeigt.
1 LAUENBERGER,T.: "Technik der medizinischen Radiologie", 4. Aufl., Deutscher Ärzteverlag Köln, 1986
2 MUSHLIN, A., J. R. THORNBURY: Ann. Int. Med. 111 (1989), 84
3 MUSHLIN, A., J. R. THORNBURY: Ann. Int. Med. 111 (1989), 58
4 ELKE, M., R. BRUWE: Dtsch. med. Wschr. 105 (1980), 250
5 BETTMANN, M.: N. Engl. J. Med. 317 (1987), 891
6 SIMEL, D. et al.: Ann. Int. Med. 111 (1989), 54
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